Die Berlinerin Helene Hegemann hat sich für ihren Roman „Axolotl Roadkill“ bei anderen Autoren bedient - und verteidigt sich gegen die Kritik daran. Gegenüber Morgenpost Online hatte ein Regisseur behauptet, Hegemann habe Passagen aus einem Film von ihm übernommen. Die Autorin dazu: „Da versucht jemand, auf den Zug aufzuspringen und von der Hetze gegen mich zu profitieren.“

Die mit Plagiatsvorwürfen konfrontierte Nachwuchs-Autorin Helene Hegemann hat sich gegen die Kritik an ihrer Arbeitsweise verteidigt. „Da wird eine jahrhundertealte Debatte auf meinem Rücken ausgetragen. Wenn wir so anfangen, können wir den ganzen Literaturbetrieb gleich dichtmachen“, sagte die 17-jährige Berlinerin. Hegemann hatte eingeräumt, für ihren Überraschungshit „Axolotl Roadkill“ Passagen aus dem Roman und Blog eines anderen Autors übernommen zu haben. „Ich habe das nicht einfach munter abgeschrieben“, sagte sie. „Es geht hier nicht um Plagiarismus, sondern um Intertextualität – ein Arbeitsverfahren, das sehr viele Künstler benutzen.“

Zudem handele es sich nicht um einen komplett collagierten Roman, sondern um einige wenige Stellen in ihrem Buch. „Ich habe einige Versatzstücke organisch in meinem Text eingebaut und bin dadurch indirekt in Kommunikation mit dem Autor getreten“, sagte Hegemann. „Das ist nicht genug, um mir meine literarische Eigenständigkeit und die Eigenständigkeit des Buches abzuerkennen.“

Nachdrücklich wies Hegemann auch den neuen Vorwurf zurück, sie habe zudem für eine Kurzgeschichte im Szene-Magazin „Vice“ einen Film des jungen deutschen Regisseurs Benjamin Teske ausgeschlachtet. „Mein Text war eine Auseinandersetzung mit dem Film und sollte eine Hommage an Teske enthalten. Das Magazin hat diesen Hinweis einfach nicht mit abgedruckt, geschweige denn das Abdruckrecht für den Text bei mir eingeholt“, sagte sie. „Da versucht jemand, auf den Zug aufzuspringen und von der Hetze gegen mich zu profitieren.“

Teske, 26 Jahre alt, ist an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin eingeschrieben, wo er Audiovisuelle Medien studiert. Gegenüber Morgenpost Online sagte Teske, er sei zufällig auf die Kurzgeschichte "Die Spiegelung meines Gesichts in der Erschaffung der Welt" von Henriette Hegemann genannt. In Teskes Film und in der Kurzgeschichte geht es, kurz gesagt, um ein Treffen der sexuellen und durchaus lebensgefährlichen Art zwischen einem älteren Mann und einer jungen Frau, die zumindest wie eine Prostituierte aussieht. Der zweite Teil der Hegemann-Story, sagt Teske, sei "komplett eine Kopie von unserem Film, sowohl die Sätze als auch die Formulierungen und der Ablauf der Handlung."

Tatsächlich finden sich auffällige Parallelen: "Was sagt eigentlich ihr Freund zu ihrem Job?" heißt eine Dialog-Sequenz bei Hegemann. Weiter: "Sie holt einen altertümlichen Perkussionsrevolver aus ihrer Tasche und richtet ihn auf mich. ,Haben Sie nicht noch was anderes dabei? Irgendeine ganz simple 9mm-Pistole?', frage ich." In Teskes Film heißt es: "Also wie machen Sie das mit Ihrem Beruf? Was sagt Ihr Mann dazu?" Und kurz darauf: "Ist das eine 9mm? Etwas anderes hätten Sie nicht?" Und so geht das über einige Strecken weiter.

Teske klingt verletzt und verwundert, als er sagt, er wisse schlichtweg nicht, wie er nun damit umgehen solle. Mit der Uni und der eigens gegründeten Produktionsfirma "Das Kind mit der goldenen Jacke" habe er den Film realisiert, mit Cosma Shiva Hagen und Adolfo Assor in den Hauptrollen. Der Film wiederum sei eine Adaption der Kurzgeschichte "Un peu de tendresse" des französischen Autors Martin Page , der sein Einverständnis zu dieser nichtkommerziellen Verfilmung gegeben habe und "auf jedem Plakat, auf jedem Flyer" auch genannt werde.

Teske hat eine Vorstellung davon, wie das Abkupfern zustande kam: Sein Film war 2009 beim 30. Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken im Kurzfilmwettbeweb nominiert. Im selben Jahr gewann Hegemanns Film "Torpedo" mit Alice Dwyer in der Hauptrolle in der Kategorie der mittellangen Spielfilme. Teske vermutet, dass Hegemann in Saarbrücken den Film gesehen und sich einfach daraus bedient habe. "Ich will hier gar nicht anklagen, es geht mir nur darum, dass wir ja selbst bereits die Geschichte adaptiert hatten und immer auf den Autoren hinwiesen - das ist schließlich das erste, was wir an der Uni lernen: abschreiben geht gar nicht." Dass Hegemann sich offenkundig nicht daran gehalten habe und er dies durch reinen Zufall entdeckte, findet Teske "ziemlich eindeutig und krass".

Inzwischen aber hat sich die Redaktion des Magazins "Vice" geäußert, dort war Hegemanns Kurzgeschichte erschienen. "Eigentlich ist uns die Streiterei um Hegemann recht egal", heißt es im Blog des Vice Magazins, "aber trotzdem waren wir durch den Medien Overkill der vergangen Tage gezwungen, uns mit ihrem Text, den sie für unsere Literaturausgabe verfasst hat nocheinmal auseinanderzusetzen".

Demnach hatte Hegemann darum gebeten, die Kurzgeschichte bei Veröffentlichung Benjamin Teske zu widmen. Im Blog wird aus einer E-Mail Hegemanns zitiert (Zitat in der originalen Kleinschreibung): "solltet ihr die geschichte tatsächlich drucken wollen in geraumer zeit, wärs großartig wenn ihr aus diversen gründen drüber schreiben könntet für benjamin teske“ - doch die Widmung wurde nicht abgedruckt. Inzwischen, heißt es bei "Vice", "haben wir diese Widmung Benjamin heute nachträglich zugetragen". Der aber finde, "dass wenn überhaupt eine Widmung an Martin Page passend gewesen wäre".

Die Jury für den Preis der Leipziger Buchmesse ficht die Debatte nicht an - sie nominierte Hegemann für den Preis. Zu den Plagiatsvorwürfen sagte Jury-Chefin Verena Auffermann: „Es hat solche Fälle gegeben, solange es den Buchdruck gibt.“ „Wir haben uns beim Ullstein-Verlag sehr genau erkundigt nach dem Stand des Urheberrechts. Uns wurde glaubhaft bestätigt, dass es einen ordentlichen Weg geht: dass alle ihr Geld bekommen und alles hinten verzeichnet ist“, sagte Auffermann weiter. In Hegemanns Debüt würden viele notwendige Themen behandelt. Dazu zähle auch das Urheberrecht in den Zeiten des total globalisierten Netzes. Es sei wichtig, dies ins Bewusstsein zu bringen.

Auffermann lobte „Axolotl Roadkill“ als ein Produkt des gesellschaftlichen Wandels: „Dieses Buch ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Wirklichkeit auflöst. Ich bin sehr froh, dass Hegemann nicht alles selbst erlebt hat“. Auffermann sieht die junge Berliner Autorin in einer Reihe etwa mit der Französin Françoise Sagan, die vor etwa 50 Jahren als 18- Jährige den Bestseller „Bonjour Tristesse“ schrieb, sowie den früheren deutschsprachigen Jungautoren Christian Kracht mit „Faserland“ und Benjamin Lebert mit „Crazy“. „Wenn Sie die ganze gewaltige Bloggerkultur betrachten, wie viele junge Leute sich nur noch da bewegen, dann ist das ein Ausdruck von einem großen Wechsel“, sagte Auffermann. „Es ist wohl so, dass die frühe Jugend etwas die Zeit Überspringendes schreibt. Die Treppensprünge in der Literatur muss man wahrnehmen. Man kann sie moralisch ablehnen – aber man muss sie darstellen.“